Mittwoch, 29. April 2015
[ein zweiter Polen Beitrag kommt später noch.]

*Briefentwurf.* VORSICHT ROMAN. Der vermutlich längste Text in diesem Jahr, wenn nicht auf dem Blog insgesamt xD (und der mit den wenigesten Smiley dazu)

"Hallo Frau Klassenlehrerin.
Wären Sie gerade nicht krank, hätte ich Sie um ein Gespräch gebeten. Da Sie es sind (gute Besserung!), schreibe ich Ihnen eine E-Mail. Und eigentlich finde ich das auch ganz gut, da ich mich mit geschriebenen Worten schon immer geschickter ausdrücken konnte als mit gesprochenen.
Sie wissen, dass ich schon mal überlegt habe, mit der Schule aufzuhören. Damals war es nur eine Idee, ein möglicher Weg, vielleicht ein Hoffnungsschimmer in den stressigen Wochen, die Möglichkeit, die Freiheit, aufhören zu können.
In letzter Zeit denke ich ernster darüber nach.

In der Grundschule war ich gut, wenn nicht sehr gut. Der Stoff flog mir zu, ich hatte Spaß am Lernen, viele Freunde und die nettesten Lehrer. Rückblickend hätten aber eben diese einmal ansprechen müssen, dass für die weiterführende Schule die mündliche Mitarbeit sehr wichtig ist. Ich beteiligte mich also, wie ich Lust hatte, und bekam in den meisten Fächern eine zwei. Warum ich keine eins hatte, habe ich mich nicht gefragt, da die Noten nicht so wichtig waren. Hauptsache keine Drei, war mein Gedanke.
In der weiterführenden Schule weitete ich diesen Grundsatz auf "Hauptsache keine Vier aus", und fuhr damit auch ziemlich gut. Leistungszwischenstände fand ich ziemlich deprimierend, da meine mündliche Note in den allermeisten Fächern bei einer vier oder einer pädagogischen drei lag, und Elternsprechtage machten meine Eltern besorgt, aber am Ende hebten meine guten Arbeiten die Noten doch immer in den Dreier-, teilweise in den Zweierbereich.
Ich machte soviel wie ich musste, das meistens ordentlich und sorgfältig. In der Klasse fühlte ich mich gegen Ende immer unwohler, und wurde parallel dazu immer stiller im Unterricht. Tatsächlich hatten wir eine Klasse, in der man für falsche Beiträge auch ausgelacht werden konnte. Obwohl ich mich bsp. in Englisch in der neunten Klasse gefühlt zehn Mal im ganzen Halbjahr gemeldet habe, bekam ich -auf Grund guter Abeiten- eine Drei. In zwei Fächern ging die Rechnung nicht ganz auf, denn in Ethik und Geschichte schrieben wir im letzten Halbjahr vor der Oberstufe keine Arbeit und keinen Test, und so bescherte mir meine Mitarbeitsnote zwei Vieren im Zeugnis und die Frage, ob ich im Geschichtsprofil gut aufgehoben sei.
Wenn man mich fragte, warum ich mich nicht mehr anstrenge, mehr melde, sagte ich, dass es ja eh nicht ins Abi zähle. Und dass ich das in der Oberstufe ändern würde.
Ich kam in die Oberstufe und fühlte mich in der neuen Klasse erst total verloren. Ich kannte niemanden sehr gut, und Menschen ansprechen war auch nie meine Stärke. Somit hatte ich auch niemanden, der mich im Unterricht ablenken konnte, und ich stellte fest, wie viel weniger man für Klausuren lernen muss, wenn man im Unterricht zuhört. Ich habe mich auch gemeldet, wollte gleich einen guten Eindruck hinterlassen. Für die meisten Lehrer war meine Mitarbeit dennoch zu spärlich- sie wussten ja auch nicht, dass ich mich das Jahr davor so gut wie nie gemeldet habe.
Als Abischnitt peilte ich 2,0 an, und aus meinem Leitsatz wurde "Möglichst wenig Dreien im Zeugnis". Und ich steigerte mich von Halbjahr zu Halbjahr, bis ich im letzten Zeugnis einen Schnitt von 2,1 hatte.
Immer sagte man mir, ich wäre schlauer, besser, klüger als meine Noten es widerspiegelten, und ich wollte meinem IQ gerne gerecht werden. Jetzt bin ich wohl gut dabei.
Jetzt habe ich den Ergeiz entwickelt, den ich und alle anderen mir wünschten, jetzt gehöre ich nicht nur schriftlich sondern auch im Zeugnis zur Leistungsspitze, und jetzt habe ich herausgefunden, wie man das mit der mündlichen Beteiligung überhaupt anstellt.
Aber wissen Sie was? Es macht mich nicht glücklich.
Den Ergeiz würde ich kostenlos verschenken und gegen die Einstellung von "Was interessieren mich Noten, Hauptsache keine Vier eintauschen" Aber Mentalitäten lassen sich nicht im Handumdrehen ändern.
Die einzige Person die mir Stress und Druck bereitet bin ich selber, aber das kann ich ziemlich gut. Leistungszwischenstände sind immer noch deprimierend, wenn sie vor den Klausuren kommen, und meine mündliche Mitarbeit ein Fähnchen im Wind. Lehrer sagen mir stets "Ja, ist das gleiche Problem wie jedes Jahr. Du musst dich mehr melden, aber das weißt du ja." Und ja, ich weiß es. Und ja, ich versuche es. Aber es ist nicht meine Art, zu alles und jedem meinen Senf abzugeben. Es ist nicht meine Art, Spekulationen in den Raum zu rufen, und Diskussionen mit mehr als zwei Personen sind nicht mein Ding.
Ich liebe das Schreiben. Geschichtsklausuren, Deutschhausaufgaben, Englischdialoge. Ich liebe das Lesen von Primärquellen, philosophischen Texten, Dramen und Romanen. Ich liebe Referate, egal ob fünf oder neunzig Minuten lang. Aber selbst wenn ich in Deutsch und Englisch jeden geschriebene Hausaufgabe vorlese, und freiwillige Referate halte, fällt es den meisten Lehrern schwer zu erkennen, dass man nicht alle Schüler über einen Kamm scheren kann.
Ich habe nichts gegen Schule im Generellen. Und ich würde gerne Abi machen, weil es von Anfang an mein Ziel war, so selbstverständlich, dass ich kaum über Alternativen nachgedacht habe. Man sagt, es ist blöd, ein Jahr vor dem Abi aufzuhören, wenn man es doch fast geschafft hat. Man sagt, dass man mit Abi alle Chancen und Wege frei hat und im Nachhinein nichts bereut. Man sagt, Augen zu und durch, irgendwie geht es immer. Und wenn nicht mit 2,0, sondern mit 3,5, dann ist das immer noch besser als kein Abi.
Aber ich kann nicht mehr. Mich regt das System auf, und die Lehrer, die ihm blindlings folgen. Mich regen die Lehrer auf, die unvorstellbar langweiligen, oder eintönigen, oder uninteressanten Unterricht machen, bei denen ich mir schwer tue, den Inhalt zu verstehen. Mich regen die Lehrer mit ihren Lieblingsschülern auf, und die, denen die Schüler gleichgültig sind. Mich regt es auf, dass eine verhauene Klausur mich zwei Noten runterziehen kann.
"Ich kann nicht mehr" ist seit einem halben Jahr der Satz, den ich am meisten, und viel zu oft unter Tränen sage, und noch viel öfter denke. Ich will mich nicht mehr in ein System zwängen, in das ich nicht passe und das mich kaputt macht, ich will nicht mehr erschöpft nach Hause kommen und den Stapel Hausaufgaben vor mir sehen, ich will nicht mehr an jedem Wochenende für Klausuren pauken. Ich will nicht mehr müssen.
Ich will wollen. Ich will ein FSJ machen, weil ich es kann und ich Lust auf die Erfahrung habe, auch wenn es anders wird als ich mir es vielleicht vorstelle. Ich will ein Jahr ins Ausland um zu sehen, wie weit ich mit meinem holperigen Schulenglisch komme, neue Kulturen und Menschen kennen lernen, und frei zu sein, einen Ort zu verlassen, wenn es mich weiterzieht. Ich will studieren, weil mich ein Fach interessiert und ich es lernen möchte, oder eine Ausbildung beginnen, oder ein Praktikum absolvieren.
Ich will entscheiden, was ich mit meinem Leben mache, ich will mich entscheiden, Fehler machen und den Weg rückwärts gehen,alles abbrechen und von vorne anfangen, ich will entscheiden dürfen.
Momentan mache ich aus jedem Stein ein Gebirge und aus jeder Fliege einen Elefanten, selbst wenn es keine Fliege gibt. Ich sehe nicht was ich geschafft habe, sondern nur was ich noch tun muss; ein Berg von Aufgaben, der nicht abgearbeitet wird. Ich sehe keine Bäume mehr, sondern nur gleich den ganzen Wald. Ich zähle die Wochen bis zu den nächsten Ferien, sobald die letzten vorbei sind und die Tage bis zum Wochenende. Ich fühle mich überfordert, kaputt, müde, dauer-erschöpft ohne fassbaren Grund, und Eisen- und Vitaminmangel sind sicher nur für einen Teil davon verantwortlich- schließlich habe ich eine Woche in Polen gut überlebt, während ich am ersten Tag danach schon wieder am Bode liege. Weil ich für Deutsch lernen muss, aber nicht will, und weil die- gerechtfertigten- sechs Punkte in WiPo und Bio mich runterziehen. Und weil ein Tag Schule reicht, um mich daran zu erinneren, wie verdammt ich dieses System nicht leiden kann, und wie ich nicht reinpassen will, wie ich mich nicht länger verbiegen und bemühen will, um am Ende zu hören "Schöner Versuch, leider zu wenig."
Ich möchte mir keine Chancen verbauen, keine Wege versperren, ich will nicht später etwas bereuen, ich will nicht den Kontakt zu Lehrer und Schüler, die ich schätze, verlieren, ich will in den Herbstferien mit meiner Familie in den Urlaub fliegen. Aber ich weiß nicht, ob ich noch ein Jahr schaffe. Ob ich noch ein Jahr schaffen möchte, und zu welchem Preis. Ob es nicht besser ist aufzuhören, weil ich es kann, und will, und ich nicht weiter in die Schule muss. Weil ich eine Wahl habe. Entscheidungen treffen gehört auch nicht zu meinen liebsten Eigenschaften, vorallem wenn diese unumkehrbar sind. Normalerweise treffe ich nach langer Überlegenszeit mit viel hin und her die richtige Entscheidung aus dem Bauch. Bei dieser aber hat der Kopf zu viel Mitspracherecht und verkompliziert die Lage.
Ich weiß nicht, was der richtige Weg ist. Aber ich bin mir ziemlich sicher- und hoffe, dass der Eindruck nicht an allenmöglichen Mangel liegt- dass Schule es nicht ist.

Alles in einem Text zu erfassen, was ich denke und fühle ist schwierig, zum einen, weil Gefühle sich schwer in Worte fassen lassen, zum anderen, weil es so viel ist, dass man zwangsläufig etwas vergisst. Einen guten Einblick bringt der Text trotzdem."

[... to be continued. Erstmal Deutsch lernen -.-]
Blue


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